Iberogast: Dieser Fall kennt nur Verlierer
Bayer will sein Magenmittel Iberogast nicht mehr für Schwangere, stillende Frauen und Leberkranke anbieten. Der Konzern erklärte gegenüber der Arzneimittelbehörde, nun im Beipackzettel vor dem Einsatz für bestimmte Patienten zu warnen. Das wäre eigentlich schon 2008 vorgeschrieben gewesen, doch Patienten wurden zehn Jahre nicht informiert.
Wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestern meldete, sind neue Nebenwirkungsmeldungen von Leberschädigungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Iberogast bekannt geworden. Im Juli wurde ein zweiter Fall gemeldet, bei dem es zu einem Leberversagen mit Lebertransplantation kam, der letztlich tödlich endete, erklärt die Behörde.
Das BfArM hat den Pharmahersteller Bayer Anfang dieser Woche erneut aufgefordert, die entsprechenden Warnhinweise in der Packungsbeilage aufzunehmen. Seit vielen Jahren weigerte sich Bayer, genau das zu tun. Auf Drängen des BfArM verpflichtete Bayer sich nun, freiwillig innerhalb von vier Wochen die Hinweise aufzunehmen. „Damit erübrigt sich die Anordnung des Sofortvollzugs durch das BfArM, der andernfalls im Lichte der jetzt vorliegenden Informationen geboten gewesen und erlassen worden wäre“, so das BfarM. Bayer wollte den Zwangsmaßnahmen wohl lieber aus dem Weg gehen.
Aktualisierte Warnhinweise
Die Gebrauchsinformation von Iberogast soll laut der Stellungnahme von Bayer bald folgende Hinweise enthalten:
„Iberogast darf nicht eingenommen werden, wenn Sie an Lebererkrankungen leiden oder in der Vorgeschichte litten oder wenn Sie gleichzeitig Arzneimittel mit leberschädigenden Eigenschaften anwenden.“
Unter dem Abschnitt „Besondere Vorsicht bei der Einnahme von Iberogast ist erforderlich“, soll es zukünftig heißen:
„ (…) wenn Zeichen einer Leberschädigung (Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, entfärbter Stuhl, Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit, Appetitverlust, Müdigkeit) auftreten, sollten Sie die Einnahme von Iberogast® sofort beenden und einen Arzt aufsuchen.“
Ferner unter dem Abschnitt Schwangerschaft und Stillzeit:
„Iberogast darf von Schwangeren und Stillenden nicht eingenommen werden.“
Weiterhin sollen die Fach- und Gebrauchsinformation von Iberogast um den Hinweis erweitert werden, dass bei schöllkrauthaltigen Produkten Fälle von Leberschädigungen aufgetreten sind.
Bayer spielt Schritt herunter
In der Stellungnahme weist Bayer nur schmallippig auf die Änderungen hin. Daneben lässt es sich der Konzern nicht nehmen, diesen Schritt herunterzuspielen: Viele Millionen Menschen auf der Welt würden Iberogast einnehmen, das Nutzen-Risiko-Verhältnis werde weiterhin als positiv eingeschätzt, heißt es.
Hinweise auf eine mögliche Leberschädigung durch Schöllkraut gibt es dabei schon lange. Das BfArM hatte bereits im Jahr 2008 ein Verfahren eingeleitet. Schrittweise und in Gespräch mit den Herstellern sollten Präparate mit einer Schöllkraut-Tagesdosis von mehr als 2,5 mg ihre Zulassung verlieren, für alle anderen sollten Hinweise auf mögliche Leberschädigungen in der Packungsbeilage vorgeschrieben werden. Der ursprüngliche Hersteller des Magenmittels Iberogast – das Unternehmen Steigerwald, mittlerweile gekauft durch Pharmamulti Bayer – legte 2008 Widerspruch ein. Bis gestern weigerte sich der Konzern, auf seltene Nebenwirkungen durch sein Magenmittel hinzuweisen.
Rufschädigung auf beiden Seiten
Erst 2017 hat das BfArM diesen Widerspruch dann zurückgewiesen. Bereits im Mai 2015 lagen der Behörde vier Fallberichte zu Nebenwirkungen von Iberogast vor, bei denen ein Zusammenhang mit dem Mittel gesehen wird. Daher ging das BfArM davon aus, dass es vor Gericht gegen Bayer bestehen könne, erklärte dazu ein Sprecher. Denn die Behörde nahm an, dass Bayer klagen würde. Und so kam es denn auch: Die Pharmafirma legte Klage gegen den BfArM-Bescheid ein. Der Fall liegt seitdem vor dem Verwaltungsgericht Köln – da die Behörde keinen Sofortvollzug angeordnet und das Gerichtsverfahren aufschiebende Wirkung hatte, war bisher von Warnhinweisen bei Iberogast weiterhin keine Spur.
„Die Vorgänge werfen ein verheerend schlechtes Bild auf den Pharmakonzern Bayer“, sagt Kordula Schulz-Asche gegenüber MedWatch. Die grüne Bundestagsabgeordnete hatte die fehlenden Packungshinweise bei Iberogast bereits mehrfach kritisiert. Das Gebot eines vorbeugenden Patientenschutzes sei vollkommen aus den Augen verloren worden. „Ob der Todesfall hätte verhindert werden können, wenn dem Patienten die möglichen Nebenwirkungen bekannt gewesen wären, muss jetzt dringend geklärt werden.“
Auch das BfArM stehe im schlechten Licht da, befindet Schulz-Asche. „Seit dem Erlass eines Bescheides zur Aufnahme der Warnhinweise in 2008 konnte oder wollte die Behörde ihre eigenen Anordnungen gegenüber Bayer nicht durchsetzen.“
Noch nicht das letzte Wort
In der Schweiz finden Menschen, die zu Iberogast greifen, übrigens bereits seit Anfang diesen Jahres auf der Packungsbeilage zusätzliche Hinweise, dass es durch Einnahme des schöllkrauthaltigen Produkts es in sehr seltenen Fällen zu schweren Leberschädigungen kommen kann. Die dortige Gesundheitsbehörde hatte die Änderung des Beipackzettels verfügt – obwohl der Hersteller Bayer dies nicht wollte und gerichtlich dagegen vorgeht.
Das Verfahren Bayers gegen das BfArM läuft übrigens auch noch. Es gibt zwar noch keinen Termin, aber es scheint, als sei in Sachen Warnhinweis immer noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Eine Information aus der neusten Doc Check
Text: Nicola Kuhrt