Doc Check 15.10.2018
Immer wieder gelangen gepanschte Nahrungsergänzungsmittel auf den US-Markt. Sie enthalten Arzneistoffe, die nicht deklariert wurden. Die Zahl dieser Produkte steigt rasant, sagen kalifornische Forscher. Was fehlt, ist ein regulierendes Gesetz. Das gilt auch für Deutschland.
Im Rahmen einer Studie analysierten kalifornische Forscher alle im Zeitraum von 2007 bis 2016 von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) gemeldeten Nahrungsergänzungsmittel, die mit nicht zugelassenen Zutaten gepanscht waren. Welche Gruppe von NEM waren betroffen und um welche Inhaltsstoffe geht es?
Potenz, Gewicht, Muskeln
Insgesamt 776 NEM mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen konnten im erwähnten Zeitraum identifiziert werden. In 98 Prozent der Fälle wurde auf der Verpackung nicht auf sie hingewiesen. Der Großteil dieser 776 Artikel kam aus den Kategorien Potenzsteigerung, Gewichtsverlust oder Muskelaufbau. Folgende Substanzen wurden am häufigsten identifiziert:
- der PDE-5-Hemmer Sildenafil zur Therapie der erektilen Dysfunktion (46 Prozent)
- das Anorektikum Sibutramin: Es wurde 2010 vom Markt genommen, da es das kardiovaskuläre Risiko erhöht. Sibutramin wurde laut Report in fast 85 Prozent der gewichtsreduzierenden Supplemente identifiziert (41 Prozent)
- synthetische Steroide oder steroidartige Stoffe für einen rapiden Muskelaufbau (12 Prozent)
- „Andere“: In diese Kategorie fielen 14 Supplemente, unter anderem für die Anwendungsbereiche Gelenkschmerz, Osteoporose, Schlafprobleme oder Verbesserung der Prostatagesundheit. In der Hälfte dieser Produkte war das rezeptpflichtige Diclofenac enthalten, des Weiteren wurde auch häufig mit Dexamethason gepanscht, das ebenfalls rezeptpflichtig ist. (1 Prozent)
Davon enthielten 157 Produkte (20 Prozent) mehr als eine nicht zugelassene Zutat. Weitere nicht zugelassene Arzneistoffe, die zwar seltener aber ebenfalls identifiziert werden konnten, sind Fluoxetin, Phenolphthalein und Ephedrin.
Tendenz stark steigend
Außerdem ist ein deutlicher Anstieg solcher gepanschter Präparate erkennbar, denn 57 Prozent aller Warnmeldungen gingen erst ab dem Jahr 2012 ein, berichten die Forscher. „Seit dem vergangenen Jahrzehnt, als ich erstmals begann, dieses Problem zu beobachten, habe ich die Zahl gepanschter Supplemente immer nur rapide steigen sehen,“ sagt Studien-Co-Autor Dr. Pieter Cohen, Internist und Professor an der Harvard Medical School in Boston. „Damals im Jahr 2009, schien es, als gäbe es weniger als 150 Artikel, die unerlaubte Wirkstoffe beinhalten,“ erinnert sich Cohen. „Jetzt ist klar, dass es über 1.000 davon gibt.“
Mehr als die Hälfte aller Erwachsenen in den USA nehmen regelmäßig in irgendeiner Form Nahrungsergänzungsmittel ein, betont Studienleiter Madhur Kumar vom California Department of Public Health’s Food and Drug Branch.
Wie wärs mit einem neuen Gesetz?
Wie der Name schon nahelegt, klassifiziert die FDA Nahrungsergänzungsmittel eher als der Kategorie Nahrung zugehörig als der Kategorie Medikamente. Diese Unterscheidung hält das Forscherteam für sehr wichtig: „Supplemente werden völlig anders behandelt als rezeptpflichtige Medikamente oder OTC-Arzneimittel,“ erklärt Cohen. „Diese zwei Kategorien werden von der FDA sorgfältig überprüft. Für Supplemente gilt das nicht. Sie erfordern keine Nachweise zu Sicherheit oder Wirksamkeit gegenüber der Agency bevor sie an Konsumenten verkauft werden.“
Durch den Dietary Supplement Health and Education Act of 1994 der FDA wurde damals geregelt, dass die Evaluierung der Sicherheit, Zusammensetzung und Beschriftung von Supplementen Aufgabe der Hersteller ist. Diese Vereinbarung bedeutet, dass die FDA zwar die Autorität hat, als schädlich gemeldete Nahrungsergänzungsmittel vom Markt zu entfernen, allerdings passiert dies erst nachdem sie auf das jeweilige Produkt aufmerksam gemacht wurde.
Dieses System birgt das Risiko, gefährliche Supplemente erst als solche zu erkennen, wenn sie in Form von schweren Nebenwirkungen Schaden angerichtet haben. Die Folge: laut Studienautoren geschätzt 23.000 Notfälle und 2.000 Krankenhauseinweisungen pro Jahr. Zu den Indikationen zählten unter anderem Schlaganfälle, Nierenschäden, Leberverletzungen, Blutgerinnsel und sogar Todesfälle, berichtet das Forscherteam.
Um mehr Klarheit und Sicherheit zu schaffen, ist eine Änderung der Gesetzeslage notwendig, betont Cohen. „Man sollte seinen Arzt fragen müssen, ob man die Einnahme von Supplementen sinnvoll ist oder nicht,“ schlägt er vor.
Ist die Lage in Deutschland besser?
Hierzulande ist die Situation in Hinsicht auf Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls diffus. Jeder Dritte in Deutschland nimmt Nahrungsergänzungsmittel ein, schreibt die Verbraucherzentrale, die gemeinsam mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Initiative Klartext Nahrungsergänzung ins Leben gerufen hat.
Die Verbraucherzentralen fordern Klartext bei Nahrungsergänzungsmitteln
Verbraucher müssen sich darauf verlassen können, dass nur gesundheitlich unbedenkliche Produkte auf dem Markt sind. Politik und Gesetzgeber müssen dafür sorgen, dass…
- EU Regelungen wie Positivlisten für zugesetzte Stoffe und für Höchstmengen geschaffen werden,
- die Anbieter versprochene Wirkungen wissenschaftlich belegen,
- eine staatliche Zulassungspflicht mit behördlicher Sicherheitsprüfung für Nahrungsergänzungsmittel verpflichtend wird,
- eine öffentliche Liste im Internet informiert, welche Produkte von den Behörden geprüft wurden,
- Verbraucher sich mit Beschwerden und unerwarteten Wirkungen unkompliziert an eine Meldestelle wenden können.
Solange es keine europaweiten Regelungen gibt, sind nationale Regelungen erforderlich.
Sie soll den Markt für Konsumenten übersichtlicher machen. „Viele Verbraucher glauben an die gesundheitsförderliche Wirkung und amtlich geprüfte Sicherheit von Nahrungsergänzungsmitteln. Tatsächlich werden diese Produkte vor ihrer Markteinführung von Behörden weder auf Wirksamkeit noch auf Sicherheit geprüft,“ heißt es etwa auf der Website.
Konkreter bedeutet das: „Das BVL [Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit] nimmt keine Bewertung der Produkte auf die Übereinstimmung mit den lebensmittelrechtlichen Vorschriften und ihrer Verkehrsfähigkeit vor. Für die Einhaltung der Rechtskonformität ist der Lebensmittelunternehmer / Inverkehrbringer selbst verantwortlich,“ kann man auf der Website des BVL nachlesen.
Und weiter: „Dadurch ist immer das jeweilige Bundesland, in dem ein Erzeugnis hergestellt bzw. in den Verkehr gebracht wird, für die Überwachung und die Überprüfung der Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln zuständig. Eine Prüfung der Erzeugnisse durch diese Behörden oder durch das vor dem Inverkehrbringen ist rechtlich jedoch nicht vorgesehen.“ Ein Bewusstsein für das Problem ist also geschaffen, von gesetzlichen Regelungen ist man aber noch weit entfernt.